Einer aus 1.200: Super-Recognizer erkennt blitzschnell Gesichter für Polizei in Sachsen
Die Fähigkeit von Super-Recognizern ist sehr selten. Nur ein Bruchteil der Menschen weltweit besitzt die Gabe, ein bestimmtes Gesicht aus Tausenden anderen besonders gut wiederzuerkennen. Für den Polizeieinsatz sind derartige Superhelden-Eigenschaften sehr wertvoll, denn die Beamten können blitzschnell schwere Straftäter entlarven.
- Eine Bundespolizistin in Sachsen bemerkt schon vorher eine besondere Gabe, bevor ein Test die seltene Fähigkeit bestätigt.
- Im Streifendienst oder auf Fußballspielen entlarvt die Super-Recognizerin Straftäter, indem sie diese blitzschnell entdeckt.
- Nach Einsätzen mit 5.000 abgescannten Gesichtern hat die Bundespolizistin eine Strategie, um runterzukommen.
Eine dichte Menge Fans drängelt sich vor einem Fußballstadion. Carmen B., die anonym bleiben will, steht mittendrin und scannt die Gesichter der Personen ab. Die Bundespolizistin hält nach mehreren Tatverdächtigen Ausschau, die die Polizei wegen Sachbeschädigung oder Körperverletzung bei einem vorherigen Fußballspiel sucht. Carmen B. hat eine besondere Gabe: Sie ist Super-Recognizerin.
Das sind Menschen, die sich Gesichter und Bewegungen überdurchschnittlich gut merken zu können. Sie können Personen in vielen Fällen zweifelsfrei identifizieren. Die Bundespolizei beschäftigt nach eigenen Angaben bundesweit 113 Super-Recognizer. Die Wissenschaft geht davon aus, dass etwa ein bis zwei Prozent der Weltbevölkerung diese Fähigkeit hat.
Was sind Super-Recognizer?
Super-Recognizer haben die angeborene Fähigkeit, ein Gesicht unter Tausenden wieder zu entdecken. Sie sind im Gegensatz zu anderen Menschen besonders gut darin, Gesichter auch nach Jahren wiederzuerkennen, auch wenn sich die Personen äußerlich verändert haben.
Bisher weiß man wenig darüber, ob und was im Gehirn von Super-Recognizern anders abläuft als bei „normalen“ Menschen. Stangl – Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik
Carmen B. hat ihre besondere Fähigkeit schon vorher wahrgenommen, bevor das ein Test bestätigt. „Wir hatten viele Einsätze, bei denen Bundespolizisten aus ganz Deutschland zusammenkommen. Gerade da habe ich gemerkt ‚Den kenne ich aus dem Studium, den von der Ausbildung, den von der Waffenausgabe'“, sagt die 36-Jährige. Doch ihr sei nicht bewusst gewesen, dass diese Fähigkeit andere nicht haben. „Wenn man nicht weiß, dass das, was man macht, etwas Besonderes ist, lebt man einfach damit“, sagt Carmen B., die in der Umgebung von Dresden lebt.
Test bestätigt seltene Fähigkeit
Vor zwei Jahren sieht Carmen B. ein Plakat in der Polizeidienststelle Pirna, in der sie seit 2008 arbeitet. „Werden Sie Super-Recognizer!“ liest sie. Das ist die Gelegenheit für die Bundespolizistin zu erfahren, ob da wirklich mehr ist. Im Test der Bundespolizei in Zusammenarbeit mit der Universität Greenwich muss sich die Beamtin damals in Sekundenschnelle 50 Gesichter auf Fotos merken und aus 100 weiteren wiedererkennen. „Bei einem anderen Test musste man sich ebenfalls Personen merken. 14 Tage später sah man ein Video und wurde gefragt, ob die Personen darin zu sehen sind oder nicht“, erinnert sie sich.
Vom Streifendienst bis zum Großeinsatz
Carmen B. setzt ihre Fähigkeit nicht nur im Streifendienst ein, um etwa am Bahnhof Taschendiebe ausfindig zu machen, sondern auch bei Großeinsätzen. Dabei muss sie sich innerhalb weniger Tage, manchmal nur in wenigen Stunden, bis zu 200 Gesichter merken. „Wie viel Zeit man hat, kommt darauf an, wie groß die Bildermenge ist. Wir bekommen Lichtbildmappen, in denen die Gesichter abgebildet sind. Die prägen wir uns ein“, erklärt die Super-Recognizerin.
Blitzschnell Verbrecher erkennen
Und wie sieht etwa ein Großeinsatz bei einem Fußballspiel für die Super-Recognizerin aus? „Wir suchen uns meist Orte, an denen wir eine gute Sicht haben“ Mithilfe von Videokameras, Ferngläsern oder inkognito aus der Menschenmenge heraus scanne sie dabei die Leute ab. „Um gesuchte Personen wiedererkennen zu können, die Polizeibeamte per se meiden, ist es etwa bei Versammlungen notwendig, dass wir in Zivil eingesetzt sind“, sagt die Polizistin.
Häufig komme sie und ihre Kollegen mit Recognizer-Fähigkeiten bei Großveranstaltungen wie Festen und Fußballspielen in Sachsen zum Einsatz. „Wenn es von unbekannten Straftätern etwa aus der Bahn von der Überwachungskamera Lichtbilder gibt, ist das für uns super, weil die gleichen Personen wahrscheinlich zum nächsten Spiel anreisen“, sagt Carmen B.
Doch wie schnell kann die Super-Recognizerin eine gesuchte Person aus einer großen Menschenmenge erkennen? „Das ist bei jedem Recognizer anders. Bei mir geht es in Bruchteilen von Sekunden. Ich bin schneller in meinen Kopf, als dass ich das Funken oder Melden könnte“, erklärt Carmen B. Doch auch Super-Recognizer seien nicht unfehlbar. Deswegen spricht sich die Bundespolizistin mit Kollegen ab, die die gleiche Gabe haben: „Wir sichern uns unseren Impuls ab, wenn wir einen Verdacht haben.“
Wie geht die Fahndung weiter?
Wichtig dabei ist, dass die Super-Recognizer einen „Impuls“ für die Fahndung nach einer gesuchten Person geben, erklärt der Bereichsleiter für Kriminalitätsbekämpfung der Bundespolizeidirektion Pirna, Helmut R., der nicht mit richtigen Namen genannt werden will. „Die Kollegin gibt den Impuls, dass es eine gesuchte Person sein könnte. Es ist nicht so, dass eine Person wiedererkannt und dann vor Gericht gestellt wird“, macht er klar.
Erst eine Kette von weiteren Ermittlungsschritten, wie Personalien feststellen und Indizien sammeln, führen Helmut R. zufolge zur Anklage. „Super-Recognizer sind dabei der Schlüssel, dass man sich einer verdächtigen Person widmet, damit es in der Folge zu einer kriminalistische sauberen Identifizierung kommen kann.“
Die „Treffer“ der Super-Recognizer ließen sich dabei nur schwer beziffern. Der Bundespolizist nennt ein Beispiel: Wenn ein Super-Recognizer einen gesuchten Straftäter bei einem Fußballspiel nicht entdeckt, könne das auch daran liegen, dass dieser einfach nicht vor Ort ist. „Für uns ist es ebenfalls sehr wichtig, wenn wir ausschließen können, dass eine Person nicht anwesend ist.“
Zufallstreffer im Vorbeigehen am Zug
Wie beiläufig Super-Recognizer Menschen erkennen, zeigt Helmut R. an einem anderen Beispiel: Ein Kollege hatte sich Gesichter Unbekannter eingeprägt, die für die schweren Ausschreitungen mit mehr als 100 verletzten Polizeibeamten nach einem Heimspiel des damaligen Drittligisten Dynamo Dresden gegen Türkgücü München im Mai 2021 im Großen Garten verantwortlich waren. Bei einem Einsatz in Leipzig habe es dann einen Zufallstreffer gegeben: „Der Kollege und Super-Recognizer hatte eine Person von mehr als 1.200 Gesuchten nur aus dem Augenwinkel im Vorbeigehen am Fenster eines Zuges erkannt“, so Helmut R. Der Straftäter habe daraufhin gesucht und gestellt werden können.
Anstrengend nicht nur für die Augen
Doch ihre Superhelden-Fähigkeit geht nicht spurlos an den Super-Recognizern vorbei. Carmen B. ist während ihrer Einsätze hoch konzentriert, wie sie erklärt. Das sei nicht nur anstrengend für die Augen. „Wenn wir spezielle Einsätze haben, wo man 5.000 Personen abscannt und sehr konzentriert nach gesuchten Personen schaut, ist das danach wie wenn man mir den Stecker zieht“, schildert Carmen B. Danach brauche sie vor allem eines: Ruhe. „Nach mehreren solcher Einsätze kann ich zum Beispiel nicht mit Freunden in ein volles Restaurant gehen“, sagt Carmen B.
Doch wie kann man als Super-Recognizer runterkommen? „Ja, indem ich mal was anderes als Gesichter sehe“ sagt Carmen B. und lacht. „Ich gehe dann in die Natur oder verbringe die Zeit nur mit meinen Kindern. Freizeitpark ist da leider gestrichen“, sagt sie. Wenn sie doch mal irgendwo mit vielen Menschen unterwegs ist, helfe es Carmen B., die Personen in ihrer Umgebung komplett auszublenden und sich etwa nur mit ihren Kindern zu beschäftigen.
Bin ich ein Super-Recognizer?
Um herauszufinden, ob man ein Super-Recognizer sein könnte, hat ein Forschungsteam der University of Greenwich aus London einen Test entwickelt, den man hier machen kann.